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Ab nach Hause...

Der längste Tag des Jahres fängt schon 2 Tage vorher an. Marko und ich holen die Startunterlagen am Römer ab und irgendwie freut man sich immer wieder wie ein kleines Kind über die give-aways, die sich in den Tüten befinden (besonders schön: ein ärmelloses Radtrikot, das etwas frauenfeindlich geschnitten ist und damit einen Platz im hinteren Teil meines Kleiderschranks sicher hat). Abends dann die Pasta Party und am nächsten Tag das große Packen. Wenn ich drei Wochen in Urlaub fahre, ist das Packen nicht so chaotisch wie an diesem Tag. „Habe ich alles, was brauche ich noch, ich hab doch etwas vergessen….“ Zum Mittagessen treffen wir uns bei Carlos zur vorletzten Mahlzeit (ich kann keine Nudeln mehr sehen) und dann bringen wir die Räder an den Langener Waldsee. Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht wirklich. Zu viele Gedanken gehen durch meinen Kopf.

Als der Wecker klingelt fühle ich mich hellwach, und mache unser Frühstück. Marko versucht, wie immer, jede Sekunde auszunutzen, die er noch liegen bleiben kann. Dann ist Carlos auch schon da und wir laufen zusammen zum Paulsplatz, wo die Busse zum Waldsee abfahren. Marko legt wie immer ein flottes Tempo vor (gefühlter 4er Schnitt) und ich muss mich wirklich bemühen, dranzubleiben. In der Wechselzone präpariere ich meine Sachen und da mir langweilig ist, schaue ich ein bisschen bei den Profis zu. Das lenkt ab und hält die Nervosität in Grenzen. Marko und ich gehen gegen 6:30 Uhr ans Wasser. Ich schwimme dann durch die Bucht auf die andere Seite und warte dort auf den Start. Die Stimmung ist unglaublich. Die ganze Bucht voller gelber Badekappen und die Zuschauer stehen eng gedrängt am Ufer. Die Musik tut das übrige. Ich lege mich auf den Rücken und lasse mich ein bisschen treiben um dabei die Stimmung einzufangen.

Dann geht alles blitzschnell. Der Startschuss fällt – ohne Countdown. Alle Athleten schauen etwas verwirrt und schwimmen dann los. Ich hatte eine Wahnsinnsangst vorm Schwimmen, obwohl ich die Woche davor in Roth die 3,8km für die Staffel schon geschwommen bin. Allerdings mit einer Startgruppe von 300 Leuten, nicht mit 2000. Das Schwimmen geht überraschend gut, ab und zu hakelt man ein bisschen mit den Nachbarn. Ein etwas hartnäckigerer Mitstreiter haut mir bei jedem Zug auf den Kopf, ich halte an und haue einmal gezielt zurück, dann ist Ruhe. Nach 1:14 ist das Schwimmen zu Ende.

Für den Wechsel lasse ich mir Zeit, es ist doch eine Langdistanz. In einem Riesenpulk fahren wir vom Waldsee weg Richtung Frankfurt. Regelkonformes Fahren ist hier unmöglich. Die Kampfrichter lassen uns auch in Ruhe, sie merken ja selbst, dass es nicht anders geht. Von Anfang an halte ich mich konsequent an meinen Ernährungsplan (alle 15 min ca. 100 – 150 ml Wasser, ein großer Schluck aus der Maltodextrinflasche) und kontrolliere Puls und Trittfrequenz. Die Geschwindigkeitsanzeige meines Tachos ist leider ausgefallen. Die Beine fühlen sich gut an und ich habe das Gefühl zu fliegen. Das Einfahren in die ersten Stimmungsnester ist unglaublich. In Bergen-Enkheim und in Hochstadt tobt der Bär. Es macht Spaß und ich genieße jeden Zuruf. Genau das habe ich mir vorgenommen, diesen Wettkampf zu genießen (Tipp von Carlos und Marko) und ich kann jedem Ersttäter nur empfehlen das gleiche zu tun. Als ich aus Hochstadt rausfahre, habe ich zwar noch alle Trinkflaschen, jedoch leider keinen Tacho mehr. Es ärgert mich schon, da dieses Luxusteilchen ein kleines Vermögen gekostet hat. Da ich aber nicht weiß, wo er sich verabschiedet hat, fahre ich nicht mehr zurück. Es geht durch die Dörfer der Wetterau, überall sitzen Menschen auf der Straße, die einen feuern uns kräftig an, die anderen konzentrieren sich mehr auf ihr Steak und das Bier. Mir wird langsam schlecht auf dem Rad. Diese Maltodextrin-Mischung ist furchtbar süß und jedes Mal wenn ich einen Schluck trinke, würge ich es gleich wieder raus. Ich weiß, was das zu bedeuten hat, der Einbruch ist vorprogrammiert. Ich kann nichts anderes essen am liebsten würde ich mich einfach nur übergeben. Die Frauen, die ich vorher so zügig auf dem Rad überholt habe, kommen in der zweiten Radrunde locker an mir vorbeigefahren. Meine Beine sind leer und ich kann die Geschwindigkeit nicht halten. Die gute Stimmung an der Strecke geht mir auf den Keks, den Heilsberg in Bad Vilbel würde ich am liebsten hochschieben. Schon die erste Runde konnte ich hier nicht mehr genießen, die 2. Runde ist eine nicht enden wollende Hölle. Mein Nacken schmerzt und ich kann meinen Kopf kaum noch hoch halten. Die Arme, der Oberkörper, alles tut weh. Ich bin so dankbar, dass ich dann endlich vom Rad runter darf. Immerhin habe ich es noch geschafft, die Strecke in 6 Stunden zu fahren, angefühlt hat es sich wie 7 Stunden. Das hätte wirklich eine sensationelle Radzeit werden können. Hätte, wäre, wenn…war aber nicht.

Im Wechselzelt fragt mich ein Arzt, ob es mir gut geht und ob ich das Rennen weiter machen möchte. Was für eine Frage, der glaubt doch nicht, dass ich 6 Monate hierfür trainiere und dann aufhöre. Aus Markos Erzählungen wusste ich, dass man sich beim Laufen durchaus wieder fangen kann, also laufe ich etwas zögerlich aus der Wechselzone auf die Strecke bis zum ersten Verpflegungstand. Die Übelkeit hat nachgelassen und ich kann wieder etwas essen. Ich weiss, dass wenn ich ab jetzt regelmäßig Kalorien zu mir nehme, ich immerhin noch einen guten Wettkampf machen kann und so lege ich an jeder Verpflegungsstation eine Gehpause ein. Tuc-Kekse, Cola, Gels und Wasser in rauen Mengen haben mich wieder auf die Spur gebracht. Zu Beginn der ersten Laufrunde fühlt sich mein Körper noch völlig taub an, doch dann kommt die Energie zurück. Ich freue mich über die ganzen Menschen, die mich anfeuern, über Freunde, Bekannte und die ganzen PS98 – Meute, die einen Riesenlärm macht. Das Laufen funktioniert gut und ich überhole so viele Leute. Trotzdem halte ich an den Verpflegungsständen, da ich auch noch gut über die 3. Runde kommen möchte. Der Zuspruch aus dem Publikum reißt nicht ab, meine Mutter feuert mich an und ich versuche locker auszusehen. Sie hatte wohl mehr Angst vor dem Wettkampf als ich. Die 3. Runde tut wirklich nur noch weh, die Beine sind nicht mehr mir, aber ich renne weiter, denn jetzt weiß ich, ich kann es schaffen. Die letzte Schleife raus zur Weseler Werft und zurück ist nur noch eine einzige Quälerei, die erst dann aufhört, wenn man zum Römerberg abbiegen darf. Die zwei Jungs vor mir lasse ich weglaufen, damit mein Zieleinlauf auch wirklich meiner ist. Und dann kommt der Moment der unbeschreiblich ist, ich biege um die Ecke und sehe nur Menschenmassen die jubeln, tausende von Händen strecken sich mir entgegen und wollen abgeklatscht werden. Ich möchte hier gar nicht mehr weg, den Moment für immer genießen und muss wirklich heulen. Dieses Gefühl vor dem Ziel zu stehen und den letzten Schritt des Wettkampfs zu machen, ist unglaublich. Nach 11:46 ist der IMG für mich zu Ende.

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Marko erwartet mich im Ziel und ich bin ziemlich traurig, dass er rausgehen musste. So gerne hätte ich mit ihm das Ende dieses Tages genossen.Im Nachhinein muss ich immer an die Opelwerbung denken: „Nur für einen einzigen Moment weißt Du, warum Du das tust“. Das stimmt nicht, es gab so viele Momente an diesem Tag, an denen ich wusste, warum ich das tue. Aber dieser eine Moment, der lange Moment wenn Du den Römerberg hoch läufst, da fühlst Du dich wie Vogel der über allem durch die Luft schwebt. Und ich kann jedem versichern, dieses Gefühl ist eine Droge. Einmal hast Du es erlebt, und Du willst, dass es nie wieder geht. Und wenn es dann langsam abebbt, dann weißt Du was Du nächstes Jahr tust.

made by Andrea ®, im Juli 2005