Der limitierende Faktor

Ab nach Hause...

 

Lanzarote: die nördlichste der Kanarischen Inseln, mitten im Atlantik, vor der Westafrikanischen Küste. Aus Feuer entstanden, urtümlich, faszinierend, geheimnisvoll. Hier sollte am 24.5.2008 der 24. Ironman Canaris Lanzarote stattfinden.

Als ich zum ersten mal mit meinem Rad Richtung Timanfaya (die Feuerberge) fahre fühle ich mich schlagartig in der Zeit um ein halbes Jahr zurück versetzt und habe das Gefühl wieder auf Big Island, Hawaii zu sein. Nicht umsonst gilt Lanza als das Hawaii Europas.

Die Vulkan-Kegel sind schwarz und rot, der Asphalt flimmert von der Sonne und es ist windig, sehr windig. Als ich das erste Mal bergauf gegen den strammen Nordwind ankämpfe, beginnt mir langsam zu dämmern, warum dieser Ironman als der härteste der Welt gilt. Nicht wegen seiner 2.551 Höhenmeter auf der Radstrecke, die schon mehr als hart sind, sondern wegen des ständigen Windes, der hier immer präsent ist: mal mehr, mal weniger stark.

Nicht die wunderschönen Anstiege durch Timanfaya zum Mirador de Haría und Mirador del Río, sondern der Wind ist hier "der limitierende Faktor".

Nach einer Woche Entspannung an Strand und Pool sollte es dann Samstag früh um 7 Uhr losgehen. Hektische Betriebsamkeit auf der Avenida de las Playas in Puerto del Carmen, wo die längste Wechselzone, die ich je erlebt habe, aufgebaut wurde (ca. 500 m). 1.256 Teilnehmer, so viele wie noch nie, haben am Vortag ihre Räder eingecheckt, pellen sich nun in ihre Neoprenanzüge, um die 2 Schwimmrunden am Playa Grande zu absolvieren.

Landstart, etwas ungewöhnlich beim Ironman, aber hier einfach logistisch nicht anders machbar. Ich ordne mich hinter dem ersten drittel Schwimmer ein, um nicht gleich wieder verprügelt zu werden – wie in Hawaii. Das lässt sich aber auch hier nicht vermeiden, da die Schwimmstrecke schon nach 160 m nach links abknickt und es so zu Stauungen kommt.

Erst nach ca. 300 m habe ich mich frei geschwommen und kann ab da eines der entspannteren Rennen bestreiten, so dass mir auch die die Taucher über die wir hinweg gleiten und die Fische nicht entgehen, welche sich kaum von dem wilden Treiben beeinflussen lassen. Ein Doktorfisch entpuppt sich leider als Überbleibsel des Frühstücks, das sich wohl ein Mitstreiter noch mal durch den Kopf hat gehen lassen. Uupps!

Als ich nach 1:05:25" h dem Meer entsteige fühle ich mich recht entspannt und befinde mich ungewohnt weit vorne im Feld. Erst mal 200 m über den Strand mit zwischenzeitlichem Duschen und entledigen des Neos. Dann noch mal 250 m bis zum Wechselzelt, wo die Klamotten brav verstaut werden müssen, um dann die endlosen 500 m auf Socken durch die Wechselzone zu brettern. Schon nach 1:10 h sitze ich auf dem Rad: fast 1 km inklusive duschen, Klamotten wechseln und Rad abholen in 4:38". Das ging flott.

Nun geht die Party hier aber erst richtig los. Noch eine Runde durch den Ort und dann raus in die Lavawüste. Unser Glück ist, das es an diesem Morgen bewölkt ist und somit recht kühl. Pech, dass der Wind dadurch noch stärker bläst als sonst. Schon nach 1 Stunde bin ich unten in El Golfo, einer der schönsten Ecken der Insel, mitten im Volcano Park. Ab hier geht es erst mal hoch bis über die Feuerberge, durch die sich eine nicht endend wollendes Asphaltband in Wellen gen Norden hinauf schlängelt. Jetzt ist auch die Sonne da. Somit ist es steil, heiß und wir haben Gegenwind. Eine eklige Kombination. Die vielen Kamele am Straßenrand lassen sich von dem Treiben nicht stören und bewegen sich stoisch mit den Touristen auf ihren Höckern durch den Nationalpark, während ich langsam anfange den Wind zu hassen. Hätte vielleicht doch ein 25-er Ritzelpaket statt meines 11/23 einpacken sollen L

Auf der Rückseite der Feuerberge fährt man erst ein mal lange Zeit auf einer Hochebene Richtung Mancha Blanca und passiert dabei das wunderschöne Weinanbaugebiet La Geria, das für seine ungewöhnlichen Windverbauungen bekannt ist, welche die am Boden liegenden Reben schützen sollen.

Ab Tinajo geht es dann wieder mit 6-8% Gefälle hinunter zum Meer nach La Santa an der Nordküste. Dass der Tacho bergab kaum über die 30 km kommt, ist schon recht ungewöhnlich und die Böen machen einem zusätzlich zu schaffen. Als wir dann am Club La Santa wieder nach Süden abdrehen um mit 32-33 km/h wieder den Berg hinauf fahren, ist endgültig klar, was hier der "limitierende Faktor ist". Zu diesem Zeitpunkt bei km 70 liege ich fast exakt auf meinem geplanten 30 km/h Schnitt, was eine gute Radzeit von 6 Stunden bedeuten würde, aber die richtigen Berge kommen ja noch.

Noch einmal geht’s hinunter zum Meer auf einer frisch asphaltierten Straße zum schönsten Surferstrand der Insel in Famara. Wellenreiter geben sich hier ein Stelldichein. Ab hier geht’s von km 80 bis 104 nur noch bergauf. Durch das wunderschöne Teguise hinauf zum Mirador de Haría mit seinem Parco EOS.

Die riesigen Windräder sind zwar schon von weitem zu erkennen, aber man nähert sich nur sehr langsam, da die Straße steil nach Norden verläuft und somit frontaler Wind von vorne herrscht. Kurz vor der Verpflegungsstelle auf dem Mirador nutze ich die volle Straßenbreite um irgendwie die Steilheit und den Wind durch die serpentinenartige Fahrweise zu entschärfen. Hier wird die Ente richtig Fett! Dass mit der Eigenverpflegung klappt leider gar nicht und ich muss anhalten, um auf meinen Beutel zu warten und erst mal alles zu verstauen, da es sofort steil bergab nach Haría geht. Halsbrecherische Serpentinen, die chirurgisch in den Fels geschnitten wurden.

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Der vorletzte und schönste Anstieg zur nördlichsten Spitze der Insel, dem Mirador del Río naht. Auf der wunderschön ummauerten Bergstrasse treffe ich Heidi Jesberger. Kurzer Plausch im Vorbeifahren und schon bin ich oben. 118 km geschafft. Jetzt geht’s erst mal bergab mit Rückenwind. Schnell sind auf dem Tacho knapp 80 km/h erreicht und man ist innerhalb weniger Minuten in Arrieta an der Ostküste angelangt.

Ab da fährt man ca. 15 km mit Rückenwind auf einer Hauptverkehrsstraße vorbei am Caktusgarden immer leicht bergan bis Tahíche, bevor man nach Norden Richtung Nazaret abbiegen muss, um das letzte schwere Stück der Strecke zu absolvieren. Und da ist er wieder, "der limitierende Faktor". Da langsam die Kraft nachlässt und zusätzlich der schlechte Asphalt das Treten schwerer macht, wird’s noch mal härter als erwartet. Man hat das Gefühl 8 km lang über ein Waschbrett zu fahren und ich bekomme Angst mir am Ende doch noch einen Reifendefekt zu holen. Überall liegen verlorene Flaschen, Reifen und Flachenhalter auf der Straße. Kein Spaß.

Bei km 156 passiert man das von Cesar Manrique erbaute Monumento al Campesino nahe San Bartolomé, in dem auch die Siegerehrung stattfinden sollte.

Die letzten 34 km entschädigen dann noch mal mit Rückenwind und einem langen Gefälle bis nach Puerto del Carmen hinunter. Hier kann man noch mal was für den Schnitt tun und der Spaßfaktor steigt mit jedem km den man der Wechselzone näher kommt.

Als ich dort nach vorher nie geglaubten 5:50:38" Stunden vom Rad springe – und dass sogar 10 Minuten schneller als gehofft –, steigt die Stimmung und meine Zielzeit von 10:30 h nimmt langsam konkrete Formen an, denn meine stärkste Disziplin folgt noch.

Nach einem weiteren Blitzwechsel befinde ich mich schon nach 7:04 h wieder auf der Laufstrecke. Fast so schnell wie in Hawaii 2005, wo die Radstrecke nur ca. 1.000 hm hat. Das Laufen geht deutlich schwerer als sonst, wenn man eine flache Radstrecke bewältigt hat. So richtig locker werde ich nicht und auch das Profil der Laufstrecke macht es nicht gerade einfacher, denn auch die ist nicht flach. Nicht "bergig" wie mir berichtet wurde, aber zumindest sehr wellig.

4 Runden lang ein ständiges auf und ab, das die restlichen Körner schneller verbrennt als man wahr haben möchte. Zusätzlich knallt einem nun die Sonne gnadenlos auf den Schädel, so dass hier echtes Hawaii-feeling aufkommt.

Die erste Runde laufe ich noch in 44 Minuten, für die 2. brauche ich schon 47.

Dann wird’s zäh und ich muss anfangen zu kämpfen, um nicht zu langsam zu werden. Mit jedem 5 km Abschnitt bis zum Wendepunkt und zurück verliere ich eine weitere Minute. Immer wieder sieht man bekannte Gesichter entgegenkommen, denen man die Strapazen ebenfalls ablesen kann. Glücklicherweise komme ich auch 8-mal bei meiner Freundin Alex vorbei, die mich mit Squeezis und Getränken sowie aufmunternden Worten versorgt. Ich versuche mit ein paar Scherzen die Anstrengung und Schmerzen runterzuspielen. Meine Fußsohlen habe ich mir schon nach 20 km auf dem heißen Asphalt wund gelaufen und jeder Schritt schmerzt.

Die letzten Meter ins Ziel gehen wieder bergab und der Schritt wird lang und federnd. Ein junger Spanier sprintet noch vorbei. Der einzige an diesem Tag.

Das ich am Ende trotzdem noch einen Marathon in 3:13:59" laufe ist sicherlich meiner harten Vorbereitung für den Weiltalmarathon zuzuschreiben.

Die Endzeit von 10:19:08"h ist für mich schier unglaublich nach allem was ich vorher von diesem Wettkampf gehört und gelesen hatte. Die Strecke ist wesentlich härter als die in Kona und somit die Zeit sehr gut ins Verhältnis zu setzen, auch wenn die Temperaturen in Hawaii um einiges höher waren.

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Den Wind hat man auf beiden Strecken, wobei er auf Big Island nur nach Hawi hinauf so hart bläst.

Gesamt Platz 76 und Platz 9 in der M40 waren mehr als man erwarten konnte und die 4. Hawaii-Quali gab’s noch "additional on top". Da ich erst letztes Jahr dort war habe ich zum 2. Mal verzichtet. Muss ja nicht das letzte Mal gewesen sein.

Resümierend kann man sagen, dass Lanzarote nicht nur eine der härtesten sondern auch eine der schönsten und abwechslungsreichsten Radstrecken bietet. Es ist ein faires und ehrliches Rennen, wo nur selten einmal jemand beim Draften zu beobachten war und jeder am Schluss stolz auf seine persönlich erbrachte Leistung sein kann, egal wie lange es gedauert hat.

Die Organisation und die Awards Zeremonie waren sensationell. Glückwunsch an den Veranstalter.

Ich komme mit Sicherheit wieder. Wenn nicht zum Wettkampf dann zumindest zum Training in den Montanas del Fuego. Dann aber ohne Limit. ;-)

Hang loose,

euer Iron-Frank

made by Frank ®, im Mai 2008