Eine harte Prüfung

 home1.jpg (1021 Byte)

Der Berg ruft und ich folge dem Ruf!
Eine kleine Geschichte von einer Marathonpremiere, den erhofften Erlebnissen und der knallharten Realität...

Zermatt- Marathon, und auch noch der Erste! Das reizt mich natürlich ungemein und im Frühjahr 2002 melde ich mich spontan für dieses Erlebnis am 6. Juli 2002 an. Denn schließlich (ver)spricht die Ausschreibung von einer sagenhaften Aussicht auf 29 Viertausender, wenn man im 3100 m hohen Ziel auf dem Gornergrat steht... Das hätte ungefähr so oder ähnlich aussehen können:

Wer hat diesen Berg am 6.7.2002 gesehen?
das Matterhorn

Aber die Realität sieht am Tag des Lauf leider anders aus, doch dazu später mehr...

Zum Glück bin ich nicht der einzige Verrückte, der so etwas macht. Schließlich haben sich über 1000 Teilnehmer für diese Premiere gemeldet. Da kann man sich die Strecke im Internet anschauen oder das Höhenprofil studieren und mit dem des Jungfrau- Marathon vergleichen. Sieht eigentlich kaum schlimmer aus, oder? Zu den 1000 Teilnehmern zählen auch Doris, Colin und Rolf, alle von diesem komischen Lauftreff mit dem etwas verrückten Namen Passtschon98. Colin, Rolf und ich hatten alle schon mal an diversen Bergmarathons teilgenommen, aber Doris? Ihr erster Marathon überhaupt und dann noch so ein Hammer? Die letzten vier Wochen vor dem Lauf haben wir zu zweit versucht, durch einige Läufe auf den Feldberg im Taunus, die gewaltige Steigung zu simulieren, aber mehr als ca. 1000 Höhenmeter haben wir da nie gemacht. Und hier sollten es über 2000 werden. Doris ist ein absolutes Berglauftalent, das stellte sie auch schon bei den hessischen Berglaufmeisterschaften unter Beweis, aber das waren nur zehn Kilometer und nur 585 Höhenmeter. Aber die Erfahrung, wie sie einen Marathon angeht, hatte sie noch nicht... Also wollten wir zusammen laufen, bzw. ich wollte sie bis Km 30 bremsen und dann "loslassen" :-)))

Am Freitag sind wir dann aufgebrochen in die Schweiz, Doris, ihr Freund Volker und ich. Die Fahrt verlief bei traumhaftem Wetter (!!!) eigentlich reibungslos, bis auf dieses eine schöne Foto, das in einem Schweizer Tunnel von uns gemacht wurde :-) Abends waren wir dann am Infostand mit Colin, Rolf, Gabi und Claudia verabredet, um die letzte Henkersmahlzeit zu uns zu nehmen. Gabi und Claudia hatten sich übrigens als Helferinnen für dieses Ereignis gemeldet und durften dann im Ziel den Läufern die Medaillen umhängen. Beim Essen wurde dann ob des Wetterberichts schon mal ein wenig gefrotzelt: Regen und Schnee waren angesagt, aber wenn man abends noch im Freien sitzt und das schöne Wetter genießt, dann glaubt man natürlich nicht an solche Vorhersagen. Aber anscheinend sind die Schweizer mit ihren Wetterberichten etwas genauer als hier in Deutschland, denn nachts setzte tatsächlich Regen ein, der am frühen Morgen noch in ein Gewitter überging. Doch morgens um sieben war wenigstens der Regen weg, aber es sah nicht nach ganz so tollem Wetter aus. Doris sah zwar von ihrem Balkon aus schon mal einen blauen Fetzen am Himmel und rief "es reißt auf", aber auf der anderen Seite des Hotels aus meinem Fenster "riß es wieder zu". Egal, wir sind hierher gefahren, um auf diesen Berg zu laufen und nicht "zum Spaß"! Dann wurde noch mal die Frage der Bekleidung geklärt. Durch Volker hatten wir den perfekten Streckenposten, der unterwegs viermal an der Strecke stehen wollte und Erstazklamotten (vor allem warme) dabei hatte. Ich entschied mich für eine lange Hose und T-Shirt mit Trägerhemd darüber. Doris wollte eher in halblanger Hose laufen. Und was ist mit den Schuhen??? Ich hatte zum Glück meine Trailschuhe dabei, die extrem wasserbeständig sind. Eigentlich mag ich sie nicht so unbedingt, weil sie zu schwer sind, aber heute bei diesen Wetterbedingungen die einzig richtige Wahl...

Dann ab zum Startgelände. Neben Colin und Rolf erkannten wir noch einige andere bekannte Gesichter... Die Hauptfrage war natürlich, wie das Wetter unterwegs bzw. oben auf 3100 m aussehen würde. Der Startansager sprach von 2° C und trocken auf dem Gornergrat. Im Startbereich waren es angenehme 14° C. Um 9:07 Uhr ging es dann endlich los. Erst liefen wir zu viert los und schwätzten noch ein bißchen. Aber dann wurde es mir etwas zu schnell und ich bremste Doris etwas ab und erklärte ihr, daß es besser ist, wenn wir unser Tempo laufen. Denn das Ziel war "Ankommen"!!!

Ich hatte mir vorgenommen, uns bis Zermatt zum Halbmarathon ca. im 6er- Schnitt durchzubringen, denn ab dann geht es erst so richtig bergauf. Nach ein paar Kilometern das erste Mal die Frage von Doris "Dürfen wir etwas schneller laufen?". Leider mußte ich das "verbieten", aber diese Frage oder eine ähnliche wie "Darf ich überholen" wurde von mir immer strikt verneint :-))) Ich wollte einfach vermeiden, daß sie sich schon unten verzockt! Volker wollte das erste Mal bei Km 10 stehen, aber er überraschte uns schon bei Km 5 mit einem Foto! Unterwegs war er bis Zermatt mit dem Mountainbike, ab dann wollte er Bahn fahren... Km 5 erreichten wir nach 31:14, also knapp über dem erdachten Schnitt. Bei 10 hatten wir dann 1:01 und wir liefen immer ohne Druck einfach in der Meute mit, Kraftsparen war die Devise! Die Treffpunkte mit Volker klappten hervorragend, aber bei dieser überschaubaren Menge an Zuschauern fällt es auch relativ leicht, eine bekanntes Gesicht zu erkennen. Kurz vor Zermatt setzte Dauerregen ein und der erste steile Anstieg stand an. Ich begann sofort zu gehen, Doris mußte erst zum Gehen "überredet" werden. Aber in dieser Schlange auf einem Bergpfad war Laufen eh nicht drin... Außerdem stellte sich dann in Zermatt die Frage, ob wir denn schon hier einen ersten Klamottenwechsel vornehmen wollten. Aber: die Klamotten waren schon naß und da es jetzt erst mal 9 Kilometer bergauf geht, entschieden wir uns dafür, erst mal so weiterzulaufen und uns dann bei km 29 umzuziehen. Zwischen Zermatt und Sunegga (Km 29) liegen schon mal ca. 650 (1604 - 2262) Höhenmeter. Tschüss, Volker, wir sehen Dich oben!!! Bei ca. Km 22 geht es dann richtig bergauf. Also mal wieder gehen... "Widerspenstig" folgte Doris meiner Anweisung, denn sie wäre lieber gelaufen... Bei Km 25 sah ich dann einen Fotografen und sagte nur kurz: "Doris, laufen und lächeln" Nach dem Foto war aber schon wieder Schluß mit Laufen. Umstehende Zuschauer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen :-))) Irgendwann zwischen Km 25 und 29 fragte mich Doris dann, wo wir denn hier wären, denn sie war schon ein wenig leer im Kopf von den Strapazen der letzten Kilometer. Alles war naß und die Temperaturen gingen langsam in den Keller. Hoffentlich sind wir bald bei Volker! Dann tauchte irgendwan im Nebel die Verpflegungssation auf und Volker war zum Glück auch da. Und jetzt kam das volle Programm. Oberkörper frei machen, neues Shirt, Fleecepulli, Regenjacke und Handschuhe anziehen, Powergel reinquetschen, trinken und schon ging es weiter. Es hat zwar bestimmt die eine oder andere Minute gedauert, aber diese trockenen Klamotten waren einfach ein Segen. In meinem Kopf war die Erinnerung, daß es jetzt sieben Kilometer leicht bergab gehen sollte. Diesen netten kleinen "Hügel" hatte ich einfach verdrängt. Es ging steil bergauf auf einem engen Bergpfad. Und schwuppdiwupp war Doris weg. Erstens, weil sie am Berg eine Gemse ist und zweitens weil sie vorne frei laufen konnte und ich an einer Gruppe auf dem schmalen Weg einfach nicht vorbei kam. Okay, dachte ich mir, jetzt hängt sie mich ab, war ja auch so geplant! Irgendwann stand sie dann am Rand und wartete auf mich. Ich rief nur, sie soll laufen! Aber dann ging es doch irgendwann wieder mal bergab. Und da Doris bergab nicht ganz so gut kann wie bergauf, hatte ich sie bald wieder eingeholt. Aber sie war schon seit Sunegga voller Euphorie und ich hatte keine Bedenken mehr, daß sie es nicht schaffen würde. Also sagte ich ihr, daß sie eins nicht mehr machen sollte: Auf mich warten!!! Bei Km 36,3 war dann aber der Spaß vorbei. Jetzt "nur" noch 5,9 Km bergauf, allerdings von 2222 m auf 3010 m. Puh! Nach ein paar Metern war Doris auch schon außer Sicht. Ich genoß noch etwas die Guggenmusik, die hier auf dieser Höhe echt schräge Musik spielt und fragte mich nur, warum die das machen, bei dem Wetter??? Erstmal ging es direkt neben der Bahntrasse steil bergauf und ich merkte schon, wie meine Kräfte langsam schwanden. Außerdem war alles naß und die Temperaturen alles andere als sommerlich... Ab Km 38 war ich dann platt, aber aufgeben? Nein, kommt nicht in Frage! Also habe ich mich wirklich hochgequält. Ich bin zwar nur noch überholt worden, meine Hände waren in Handschuhen und unter der Regenjacke verpackt trotzdem so kalt, daß ich kaum noch einen Becher halten konnte. Das wirklich schlimmste bei dieser Passage ist, daß man hochschaut und man sieht nur Nebel und ein paar Gestalten, die sich nach oben quälen. Kein Ende in Sicht. Nach ein paar Metern schaut man wieder hoch, aber keine Veränderung, keine Aussicht auf ein flacheres Teilstück oder gar das Ziel. Und dann hatte ich noch dieses komische Gefühl, eine Mischung aus Gleichgewichtsstörungen und rasendem Puls. Also erst mal an den Rand stellen und den Puls beruhigen. Und dann weiterquälen... Aber irgendwann ist auch dieser Marathon vorbei. Zum Schluß geht es noch ca. 20 m flach zum Ziel. Neben mir war ein Mitläufer, der durch seine Familie begleitet wurde. Sein Sohn sagte nur: "Papa, lauf", worauf er sagte: "ich laufe keinen Meter mehr". Wir haben uns dann angeschaut und sind doch zusammen ins Ziel GELAUFEN!!! Nur mal zur Verdeutlichung der Steilheit: die letzten 2,195 Km habe ich in 34:51 Minuten zurückgelegt!!!

Im Zielzelt war dann erstmal Volker, der mich begrüßte. Ich war nur froh, daß es endlich vorbei war!!! Dann hörte ich auch schon Gabi rufen und ich ließ mir mit einer heftigen Umarmung von ihr die Medaille umhängen. Aber irgendwie wollte ich nur schnell warm werden, also richtig heiß duschen. Ja, sowas bringen die Schweizer fertig, auf 3100 Metern gibt es Duschzelte, die auch für den letzten Läufer heißes Wasser bieten! Aber um zur Dusche zu kommen, mußte man noch weiter aufsteigen! Noch mal ca. 200 m gehen und ca. 50 Höhenmeter überwinden... Boah ey!!! Nach dem Duschen zog ich mir dann alle Klamotten an, die in meinem Rucksack waren und kroch wieder runter ins Festzelt. Doris war natürlich schon da, frisch geduscht und eigentlich gar nicht ausgelaugt. Mein erster Glückwunsch galt ihr, denn sie hatte hier und heute ihr Marathondebüt gegeben und war einfach klasse gelaufen. Es hat ihr sogar Spaß gemacht, soviel Spaß, daß sie unterwegs bei Km 35 oder so schon laut darüber nachdachte, auch am diesjährigen Jungfrau- Marathon teilzunehmen. Außerdem hat sie seit heute einen neuen Spitznamen: Gemse! Aber auch ich habe mir einen eingehandelt: Bremse bzw. Spaßbremse, weil ich sie unten immer am Spaß des Überholens und schneller laufens gehindert habe...

Und hier noch mal zwei Fotos, wie es oben auf dem Berg wirklich ausgesehen hat... Kein Viertausender in Sicht :-)))

ZielbereichZielbereich

Aber was tut man nicht alles für diese Siegertrophäen...

Die Trophäen...

Übrigens haben alle vier Passtschon98er das Ziel erreicht, Colin in 5:17, Doris in 5:28, Rolf in 5:38 und ich in 5:46. Unsere einhellige Meinung zu diesem Lauf: Der Jungfrau- Marathon ist im Gegensatz zu Zermatt wohl eher ein Kindergeburtstag...

Übrigens riß pünktlich zum Frühstück am nächsten Morgen das Wetter auf und wir genossen noch eine kleine Wanderung oberhalb des Startortes St. Niklaus. Auf der Heimfahrt am Nachmittag wurde dann noch ein nettes Foto von uns gemacht :-))) Ich bin mal gespannt, wann die Abzüge kommen...

Mein Dank geht an die vielen Helfer an der Strecke und im Ziel und mein absolut besonders spezieller Dank an Volker, der bei diesem Wetter immer genau da war, wo wir ihn brauchten!

Noch mehr Infos und weitere Berichte unter www.zermatt-marathon.ch und unter www.laufreport.de

made by Gunter Scheurich ®, im Juli 2002