Gunter - meiner Spaßbremse - sei Dank

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Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, den 1001. persönlichen Bericht über das Erlebnis des ersten Marathons zu schreiben; damit kann man wohl niemanden mehr hinter dem Ofen hervor locken, schon gar nicht die erfahrenen Hasen und Renntiere aus dem Lauftreff PS98. Ein Standard-Stadt-Marathon gilt als so trivial, dass man ihn in Badeschlappen resp. Adiletten läuft, um einigermaßen gefordert zu sein...

Da ich aber den in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindenden Zermatt-Marathon als mein Marathon-Debut ausgewählt hatte, möchte ich dennoch versuchen, meinen persönlichen Eindruck von diesem Ereignis wiederzugeben.

Als ehemalige Mittelstrecklerin hatte mich ein Marathon irgendwie nie gereizt. In einem Wettkampf eine längere Strecke als 10km zu absolvieren, kam für mich nicht in Frage. Früher haben wir in unserem Mittelstrecken-Kader so etwas als "Geradeauslaufen" bezeichnet.

Auf der anderen Seite bin ich aber eine leidenschaftliche Bergsteigerin und verbringe sehr gerne meinen Urlaub in den Alpen.

Als Gunter mir letztes Jahr den Link vom Zermatt-Marathon schickte und sagte, er wolle daran teilnehmen, war ich davon so begeistert, dass ich unbedingt auch mitlaufen wollte. Dieser Lauf in hochalpinem Gelände mit Blick auf 29 Viertausender reizte mich total, auch wenn insgesamt eine Distanz von 42,195 km zu bewältigen waren. Egal, Hauptsache Berge.

Als ich nun einen Tag vor dem Marathon im Auto in Richtung Schweiz saß, war mir mein Vorhaben überhaupt nicht mehr geheuer und ich fand mich reichlich naiv, den vielleicht härtesten Marathon Europas für meine "Premiere" ausgesucht zu haben. Ich fühlte mich wie im Studium vor einer Prüfung. Hatte ich mich überhaupt angemessen vorbereitet? "Das war doch viel zu wenig", dachte ich mir.

Im Mai war ich für eine Woche zum Bergsteigen in Südtirol gewesen, hatte dort allerdings mit Volker und meinem Vater einige doch harte und schöne Touren gemacht. Anschließend hatte ich am Gardasee mit Volker innerhalb von 3 Tagen auf dem Mountain-Bike knappe 5000HM abgestrampelt. Das erschien mir o.k..

Etwa vier Wochen vor dem Marathon hatte ich mit dem "Bergtraining" (von Bad Soden aus zum Großen Feldberg laufen, etwa 745HM) begonnen. Dieses hatte ich mit Gunter absolviert, der das Ganze logistisch klasse gestaltet hatte. So hatten wir uns zusammen insgesamt viermal, teilweise bei sengender Hitze, zum Gipfel gequält. Das hört sich zwar ganz gut an, aber in Zermatt galt es, 1925HM zu absolvieren und das bis zu einer Zielhöhe von 3010m...

Lange Lauf-Einheiten hatte ich leider gerade mal vier Stück auf dem Buckel bzw. in den Beinen (27km, 25km, 31,5km, 25km), wovon der "31er" die längste je in meinem Leben zurückgelegte Distanz war. Mein guter Freund Ant hatte mich bei einigen dieser Läufe dankenswerterweise auf dem Rad begleitet und mir bei Temperaturen um die 30°C die Wasserflaschen bereit gehalten und aufgepasst, dass ich nicht umfalle.

Mein wöchentliches Laufpensum betrug in den letzten 5 Wochen vor dem großen Tag ca. 60-70km, einige mit dem Rennrad gefahrene km kamen noch oben drauf. Das alles ließ ich Revue passieren und rechnete, ob ich damit gesund und munter auf das Gornergrat (Ziel) kommen konnte. Ich wollte ja nur ankommen.

Nachdem wir schließlich bei strahlendem Sonnenschein in St. Niklaus (1085m), dem Startort, angekommen und unsere Unterkunft bezogen hatten, bummelten wir etwas durch das Dorf zur Startnummernvergabe bzw. Marathoninformation. Dort wimmelte es nur so von durchtrainierten, sehnigen und verhärmten "Bergziegen", so dass ich immer unsicherer wurde. Gänzlich klein und dämlich kam ich mir vor, als wir die mehrmalige Siegerin des Brüder-Grimm-Laufes trafen, die mich anschaute als hätte ich sie nicht alle beisammen, nachdem Gunter ihr erzählt hatte, dass ausgerechnet dieser mein erster Marathon sei. Sie meinte, dass der Jungfrau-Marathon sogar viel viel einfacher sei. Danach hatten Gunter und Volker einiges zu tun, um mich wieder einigermaßen aufzurichten, da ich ja bekanntermaßen sowieso immer zur Tiefstapelei und zum Pessimismus neige...

Als wir abends beim Essen saßen, zusammen mit Rolf, Gabi und ihrer Freundin Claudia, die sich als offizielle Marathon-Helferinnen gemeldet hatten, zogen Wolken auf und es begann zu regnen. Das tat es dann auch die ganze Nacht lang –und zwar in Strömen. Der Regen schlug noch mehr auf die Stimmung, weil es natürlich nicht so witzig ist, einen Marathon im Regen zu laufen, schon gar nicht, wenn man um die 5 Stunden unterwegs sein wird -im Hochgebirge und bei eisiger Kälte.

Zum Glück hörte es früh morgens auf zu regnen. Die Wolken hingen zwar tief und es nieselte immer noch ein wenig aus dem Dunst heraus, aber es war wenigstens halbwegs trocken und mit 13°C am Start nicht allzu kalt. Nachdem geklärt war, was am besten anzuziehen ist (oben und unten lang bzw 3/4), stopften wir unsere Klamotten zum Wechseln und auch noch wärmere Kleidung, Gunters und Rolfs Ultra-Buffer-Flaschen in Volkers Rucksack, der das ganze auf dem Mountain-Bike zu den verabredeten Verpflegungspunkten bringen sollte. Voll gepackt machte er sich dann auf den Weg.

Nachdem die ganze Logistik geklärt und das Gepäck abgegeben war, ging es mir eigentlich recht gut und ich freute mich sogar auf den Lauf. Zum ersten Mal seit langem bei einem Wettkampf musste ich auch nicht vor der Damen-Toilette in der Schlange stehen und mir überlegen, ob ich es rechtzeitig bis zum Startschuß überhaupt noch schaffe. Es gab ein reichliches Toilettenangebot...

Dann ging’s endlich los! Relativ weit hinten in der Meute eingereiht, zogen Gunter und ich im glatten 6er-Schnitt los. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mich bei meinem ersten(Berg)-Marathon zu begleiten und aufzupassen, dass ich mich nicht auf den ersten relativ flachen 20-30 km durch zu schnelles Angehen "abschiessen" würde. Dafür war und bin ich ihm unendlich dankbar, denn es war beruhigend und schön, jemanden dabei zu haben, mit dem man den Lauf gemeinsam erlebt und der einfach da ist, falls mir etwas passieren sollte. Rolf und Colin konnte ich schon recht bald nicht mehr sehen, sie liefen weit vor uns.

Es war anfangs sogar etwas zu warm in unseren langen Klamotten, ich fing bei der feuchten Luft bald an zu schwitzen. Es ging auf Asphalt fast unmerklich immer stetig bergauf. Nach ca. 5km wechselten wir auf eine Art unasphaltierten Feldweg oder breiten Wanderweg. Die Strecke verlief parallel zu einem kleinen Fluß. Durch die tief hängenden Wolken konnte man leider nicht viel von der Gegend sehen. Dennoch hatte ich durch das niedrige Tempo Gelegenheit, mir das Tal -so gut wie die Wolken es ermöglichten- anzuschauen. Mir fiel das langsame Laufen dann irgendwann schwer und ich verfiel immer wieder der Versuchung, den überholenden Läufern zu folgen. Gunter musste mich immer wieder zurückpfeifen. Ich fing an, ihn zu nerven, ob wir nicht ein bisschen schneller laufen könnten. "NEIN", hieß es dann immer nur. Bei km 8 ungefähr folgte der erste etwas steilere Anstieg auf Asphalt, einige Läufer gingen schon. Bei km 10 stand zum ersten Mal Volker, und ich freute mich, ihn zu sehen. Er reichte Gunter seinen Ultra-Buffer und ich trank Wasser an der Verpflegungsstelle. Weiter ging’s bis km 15 auf einem relativ ebenen Abschnitt. Unmengen von Läufern zogen dort an uns vorbei. Ich wurde ziemlich unruhig und wäre so gern auch schneller geworden. Gunter sagte dann leicht genervt, er sei eben meine Spaßbremse. In dem Moment empfand ich das tatsächlich so... War ich jemals auf einem flachen Stück so langsam gelaufen? Zwischen km15 und 20 ging es auf einem schmalen Wanderweg etwas steiler bergauf und wir mussten im Gänsemarsch den Hügel hinaufgehen. Leider fing es dann auch an zu regnen. An diesem Punkt bekam ich schlechte Laune. Ich stellte mir vor, wie ich wohl naß und triefend noch 23km in der Kälte zurücklegen sollte. Volker hatte zwar Kleidung zum Wechseln für mich dabei, aber die wollte ich erst bei km29 auf 2262m einsetzen. Dann merkte ich auch noch meine gut gefüllte Blase und ich stieg hinter eine Heuhütte zum Wasserlassen. Dabei trat ich in klatschnasses Gras und mit meinen nackten Waden in Brennnesseln. Jetzt hatte ich nasse Schuhe und brennende Haut. Sch....!

Zum Glück hörte der starke Regen bald auf und es nieselte nur noch ein bisschen. Die Fasern meiner Klamotten trockneten ein wenig. Bei km 20,5 in Zermatt (1604m) stand wieder der gute Volker, der sich ja auch durch den Regen, bepackt wie ein nepalesisches Yak, auf der Strasse bergauf nach Zermatt gekämpft hatte. Er hatte schon in weiser Voraussicht den Rucksack weit geöffnet, weil er dachte, wir würden uns umziehen wollen. Wir verzichteten aber, Gunter trank nur seinen Buffer. Ich nahm mir von der Verpflegungsstelle eine heiße Bouillon, die mir sehr gut tat. Außerdem aß ich zum ersten Mal, obwohl ich keinen Hunger hatte, ein Stückchen Power-Bar. Wir verabschiedeten uns von Volker und liefen durch Zermatt. Die Leute dort waren toll, sie feuerten an und motivierten mich wieder. Dann kam der erste sehr steile Abschnitt. Innerhalb von 8,5km mussten ca. 660 HM zurückgelegt werden. Zunächst noch auf Asphalt, später dann auf einem breiteren Wanderweg, ging’s also bergauf –erst noch laufend, später gehend. Nun fingen WIR mal an, Läufer zu überholen. Endlich! Trotzdem pfiff Gunter mich immer wieder zurück, ich solle langsam machen. Och Mann.....

Langsam wurde es kalt und immer nebliger. Meine Hände wurden steif, ich konnte sie kaum bewegen. Ich nutzte jeden einigermaßen laufbaren Abschnitt aus, um zu laufen, um wieder etwas wärmer zu werden.

Endlich hatten wir die Verpflegungsstelle bei km29 und den verabredeten "Klamottenwechselpunkt" erreicht. Volker hatte sich sehr beeilen müssen, um rechtzeitig dorthin zu gelangen. Er hatte wegen des schlechten Wetters sein Rad in Zermatt abgestellt und war mit der Zahnradbahn hinaufgefahren. Da Rolf ja weit vor uns war, Volker aber in Zermatt noch auf Gunter und mich hatte warten müssen, musste er zusehen, dass er auf den Berg kam, um wiederum den vor uns laufenden Rolf an der verabredeten Stelle supporten zu können.

Gunter und ich zogen uns sehr schnell um, ich riß Volker förmlich die Handschuhe aus der Hand, weil ich so eisige Hände hatte. Dann trank ich drei oder vier (!) Becher Wasser, aß zwei Stückchen Power-Bar, steckte mir ein Power-Gel in die Regenjacke und dann ging es erst einmal auf einem schmalen und sehr glitschigen Wanderweg bergab. Allerdings mit dem Blick auf einen herrlichen Bergsee. Für mich kam jetzt endlich die große Stunde der "Freiheit". Gunter hatte gesagt, dass ich ab km 30 machen kann, was ich will. Abgesehen von der Kälte fühlte ich mich sehr gut (ich war ja von Gunter geschont worden), und ich hatte jetzt Lust auf Bergsteigen und Gasgeben. Es ging dann ein kurzes Stückchen auf einem schmalen Weg steil bergauf, das man gehen musste. Anschließend folgte ein ebenes, leicht abfallendes Stück, welches ich gut laufen konnte. Da merkte ich schon, dass sich einige Läufer schon sehr verausgabt hatten. Manche sahen sehr schlecht aus. Ich sagte so etwas in der Art zu Gunter, blickte mich zu ihm um und merkte, dass er gar nicht mehr hinter mir war. Ich blieb stehen und hatte Angst, dass er ausgerutscht sein könnte. Dann sah ich ihn, und er schrie mich an, ich solle gefälligst weiterlaufen und nie wieder "den Fehler" machen, auf ihn zu warten. Etwas pikiert lief ich dann eben weiter. An der Verpflegungsstelle bei km 36 (2222m) holte ich mir heißen Tee und aß wieder ein Power-Bar-Stückchen. Dort spielte sogar eine Kapelle in der Kälte, die die Läufer anfeuerte und für gute Stimmung sorgte. Ich sah mich nach Gunter um, konnte ihn aber nicht finden. Einige der Helfer dort lobten mich, ich würde noch sehr gut aussehen und es sei toll, dass ich es bis dahin geschafft hätte. Tja, und dann ging es wirklich ans "Eingemachte". Das war mir schon klar, als ich den Berg hinaufschaute. Von km36.3 bis zum Ziel bei 42,2km müssen 800HM überwunden werden. Mit meinem Tee in der Hand marschierte ich also los, ans Laufen war nicht zu denken. Es war seltsam, auf einmal allein zu sein. Ich verfiel in meinen üblichen Bergschritt, reihte mich in die Läuferschlange ein und versuchte, irgendetwas von den tollen schneebedeckten Gipfeln im Nebel zu erkennen. Bei ungefähr km 38 erkannte ich Rolf, der vor mir ging. Ich freute mich, ihn zu sehen. Er schickte mich aber weiter. Ich glaube, dort fing es auch langsam an zu schneien und zu graupeln. Und es wurde immer kälter und unangenehmer. Immer wenn es möglich war, auch nur irgendwie zu laufen, habe ich es getan, damit mir nicht so kalt war. Der Weg führte noch einmal an einem schönen Bergsee vorbei. Manchmal, wenn eine Wolke vorbeizog, konnte ich wenigstens ein Teilstück eines Gletschers erkennen. Aber das Matterhorn zeigte sich leider nicht. Bei km 40,6 gab es noch einmal eine Verpflegungsstelle an einem Iglu-Zelt, die mir im Schneetreiben das Gefühl vermittelte, mich im Mount Everest-Basislager zu befinden. Dort gab es gefrorenes (!) Iso-Getränk, leider keinen heißen Tee. Ich schaute nach oben und sah, dass noch ein recht steiles Stück folgte, bei dem man über Felsen klettern musste, also nahm ich mein Power-Gel aus der Tasche und steckte das Zeug in den Mund. Ich hatte Angst, bei der Kälte schlapp zu machen. Aber mir wurde auf der Stelle so schlecht von dem Geschmack und der Konsistenz, dass ich es gleich wieder wegtat. Vielleicht lag es auch an der Höhe, dass ich es nicht vertragen habe. Die letzten Meter waren dann wirklich hart, weil es so unglaublich kalt war, meine Füße und Hände waren einzige Eisklumpen, und mit diesen eingefrorenen Gliedmaßen mußte ich über Felsen klettern. Ich wollte nur noch ins Ziel und ins Warme. Ich habe dort oben Leute mit kurzen Höschen und Trägerhemdchen überholt, die wohl kurz vor dem Erfrieren gewesen sein mussten.

Als ich Musik und einen Lautsprecher hörte –sehen konnte ich in dem Nebel und Schnee nichts- war ich unheimlich erleichtert. Es konnte nun nicht mehr weit sein. Irgendwann erkannte ich auch vor mir im Nebel etwas helles –es war das Zielbanner. Ich lief in das Zielzelt ein und sah auch sofort Volker, unseren absoluten Weltklasse-Supporter, der mir eine Decke umlegte. Noch einmal großen Dank an ihn.

Ich stolperte auf Gabi zu, die mir die Medaille umhängte, und ich war überglücklich und euphorisch. Ein Läufer, der direkt hinter mir ins Ziel gekommen war, kotzte mir derweil fast auf die Schuhe, er verfehlte mich nur um einige cm. Dann gab es das Finisher-T-shirt, auf das ich mich so gefreut hatte. Unverständlicherweise existierten nur die Größen L und XL. Was sollen die meist schmächtigen Läufer mit solchen Nachthemden? Aber das war mir dann auch egal.

Um zur Dusche zu gelangen, mußte man das Zielzelt leider wieder verlassen und noch ein gutes Stück im Schneetreiben bei 0°C zum Duschzelt zurücklegen. Ich habe sicher 15min unter einer sehr heißen Dusche (auf mehr als 3000m!!!!!) gestanden, um aufzutauen.

Natürlich haben wir anschließend dort oben im "Fresszelt" ordentlich gefeiert, und Gunter hatte sogar echte "Gipfelzigarren" in seinem Gepäck. Zwischendurch hörte ich von allen Seiten solche Sprüche wie "hier laufe ich nie wieder mit" oder "um hier mitzumachen muß man nicht bekloppt, sondern geisteskrank sein" oder "das war der härteste Marathon meines Lebens".

Der Marathon war sehr sehr gut organisiert, für das blöde Wetter und die nicht vorhandene Sicht kann der Veranstalter nichts. Aus der Marathon-Homepage und dem Infoheft, was zusammen mit der Startkarte per Post geschickt worden war, ging ganz klar hervor, auf was man sich da einlässt und diverse Warnungen waren ausgesprochen worden.

Das Ereignis für mich zusammenfassend, kann ich feststellen, dass es für mich ein super schönes Erlebnis war und solche alpinen Läufe offensichtlich genau das richtige für mich sind. Ich denke, ich bin im nächsten Jahr wieder dabei oder/ und an der Jungfrau...

made by Doris ®, im Juli 2002