Ob all der Vorfreude, den Vorbereitungsmühen, dem Reden und Studieren drüber, hatte ich eines völlig vergessen: Biel ist nicht geil, weil man voll Begeisterung 10 und mehr Stunden durch die Nacht rennt. Biel ist geil, wenn man ankommt und Ankommen heisst Leiden. Ob man 8, 10 oder 20 Stunden unterwegs ist - jede/jeder muss Leiden. Das hatte ich tatsächlich vergessen!! Obwohl ich es ja schon mal erlebt hab.

Die Qualen und Schmerzen schwinden in der Erinnerung und nach ein paar Wochen/Monaten bleibt nur noch das
positive Erlebins. Eigentlich schön so, aber eben:

Die Bedingungen waren gut, trocken, Sternennacht (mit Mond wäre es noch etwas heller gewesen). Ob es
optimale Bedingungen waren weiss ich nicht. Es war halt die ganze Nacht ziemlich warm und man musste sehr
viel trinken. ... oder hätte noch mehr trinken sollen. Mit Peter meinem Begleiter war ich sehr gut bedient,
so konnte ich jederzeit Flüssigkeit aufnehmen.

Am Anfang ist alles wunderbar. Stimmung im Läuferfeld, Strassenfeste in den Dörfern alles super.

Bei km 38 besteht die Möglichkeit aufzuhören (Ziel des 1. Teilstücks). Da bin ich das erste Mal erschrocken.
Ich fühlte mich müde einfach müde und eigentlich hätte ich gerne aufgehört und wäre am liebsten schlafen
gegangen. Ich hatte einen Moment wirklich Mühe, den Sinn meines Tuns zu erkennen.

Es war mir natürlich klar, dass man nicht aufhört, nur weil man ein bisschen müde ist. In diesem Moment wurde
mir allerdings völlig klar, dass ich meine Einstellung sorfort ändern musste. Ich musste meine Bereitschaft
zum Leiden wecken! Ich hatte mich mit diesem Teil des Laufes eigentlich gar nie richtig beschäftigt. In meiner Erinnerung glaubte ich, man leide erst etwa ab km 70. Das ist falsch. Die Müdigkeit kommt viel früher und dann ist es wichtig, die richtige Einstellung zu finden.

Der Körper ist ja auch gnädig. Es gibt immer wieder Phasen, in denen man sich besser, sogar sehr gut fühlt. Die bleierne Schwere der Beine nimmt zwar stetig zu, aber wenn es einem gelingt, positive Gedanken zu finden, dann kann man das zeitweise verdrängen.

Ab kam 40 ist es mir eigentlich wieder sehr gut gelaufen. Konnte einen schönen 6er Schnitt halten. War mir aber bewusst, dass ich dieses Tempo nicht würde durchhalten können. Das war mir aber egal - es ging mir gut. Ich konnte Peter bereits da mitteilen, dass er heute nicht Bus fahren dürfe (Km 58 Ziel des 2 Teilstückes). 

Der Ho Tchi Mihn Pfad (km 59 - 70) war dann wieder das Schlüsselerlebnis. In der Dunkelheit über Wurzeln und
Steine hat meinen Rhytmus gebrochen und ab da bin ich auch deutlich langsamer geworden. Die km Zeiten
stiegen an, aber ich konnte trotzdem immer Laufen und musste keine Gehpausen einlegen. Das ist mir mit 1 od.
2 Ausnahmen bis ins Ziel gelungen. Daraus konnte ich doch entnehmen, dass meine Vorbereitung gut war.

Ja, und irgendwann bist du bei der legendären km Tafel 99. Und ab da bekommst du Flügel, das geht allen so.
In Biel musst du es bis km 99 schaffen. Der Rest ist kein Problem mehr.

Und dann bist du im Ziel - hey Leute! Schaut mich an! Ich bin eine ganze Nacht gerannt. Ich hab 100 km geschafft und zwar in einer super Zeit!

.... aber im Ziel triffst du nur Leute die schneller waren als du .... Sie schauen dich mit strahlenden Augen an. Mit Augen die sagen, "hey Mann, ich hab 100 km geschafft - und zwar schneller als du, wo warst du so lange?".

Erstaunlich ist auch, dass man im Ziel nicht müde ist, sich nicht müder fühlt als nach einem Marathon. Man setzt sich hin, trinkt ein Bier - und dann fährt man nach Hause, hängt einen Tag lang rum und geht dann etws früher zu Bett. Am Sonntag noch leichte Gelenkschmerzen. Heute Montag wieder alles i.O.

Ja, so war's
Und nächstes Jahr? Darüber mach ich mir noch keine Gedanken.